Das Schweizer System ist eine Turnierform, die eigentlich vom Schachspiel kommt. Das erste Mal wurde es bei einem Schachturnier in Zürich am 15. Juni 1895 verwendet. Als Erfinder gilt Julius Müller.
Dieses System ist besonders dann sinnvoll, wenn es aufgrund der großen Teilnehmeranzahl aus Zeitgründen nicht möglich ist, dass jeder gegen jeden spielt und wenn eine exakte Zahl an Teams oder Spielern sich für eine Meisterschaft oder die Finalrunde qualifizieren muss. Aus diesem Grund tragen die FIPJP seit 2008 und die CEP seit 2012 die Vorrunden, zeitbegrenzt, im Schweizer System aus.
Die Grundidee
Das Schweizer System lässt sich am besten als Sonderform eines Runden-Turniers beschreiben. Die erste Runde wird gesetzt (bei WM und EM z. B mit den 8 Bestplatzierten der letzten Meisterschaft) oder frei gelost. Nach jeder Runde wird der Zwischenstand berechnet, d. h. nach der ersten Runde wird das Feld geteilt in Sieger und Verlierer. In der zweiten Runde und in den folgenden Runden spielen stets Teams gegeneinander, die gleich viele Siege, Niederlagen oder Siege/Niederlagen haben. Es wird dabei ausgeschlossen, dass zwei Teams zweimal aufeinandertreffen.
Am einfachsten lässt sich das System erklären bei einer geraden Anzahl von Teams, idealer weise bei einer 4er-Potenz. Mein Schaubild zeigt dies bei 32 Teams.
Nach der 2. Runde haben wir 8 Teams mit 2 Siegen, 8 Teams mit 2 Niederlagen und 16 Teams mit 1 Sieg/1 Niederlage.
Nach der 3. Runde haben wir 4 Teams mit 3 Siegen, 4 Teams mit 3 Niederlagen, 12 Teams mit 2 Siegen/1 Niederlage und 12 Teams mit 1 Sieg/2 Niederlagen.
Nach der 4. Runde haben wir 2 Teams mit 4 Siegen, 2 Teams mit 4 Niederlagen, 8 Teams mit 3 Siegen/1 Niederlage, 12 Teams mit 2 Siegen/2 Niederlagen und 8 Teams mit 1 Sieg/3 Niederlagen.
Nach der 5. Runde haben wir 1 Teams mit 5 Siegen (Gewinner), 1 Team mit 5 Niederlagen, 5 Teams mit 4 Siegen/1 Niederlage, 10 Teams mit 3 Siegen/2 Niederlagen, 10 Teams mit 2 Siegen/3 Niederlagen und 5 Teams mit 1 Sieg/4 Niederlagen.
Dieses Schema zeigt, dass der Sieger klar feststeht und der Verlierer ebenso. Das Schweizer System liefert akkurate Resultate in den oberen Rängen (Platz 1, Platz 2), ebenso in den untersten (letzter, vorletzter). Um einen eindeutigen Sieger zu ermitteln, benötigt man nach dem Schweizer System mindestens so viele Runden wie beim K.-o.-System. Im Gegensatz zum K.-o.-System bedeutet eine Niederlage aber nicht das Ausscheiden aus dem Turnier.
Aber wie unterscheidet man Platz 3 bis 30?
Dazu wird die Spielstärke der Gegner in den verschiedenen Runden herangezogen, die sog. Buchholz-Wertung – 1932 von dem Magdeburger Bruno Buchholz erfunden. Diese Buchholz-Punkte errechnen sich durch Addition der Siege von allen Gegnern, gegen die gespielt wurde – unabhängig vom Ergebnis der Spiele. Bei gleich vielen Siegen und Niederlagen wird also derjenige Spieler höher bewertet, der öfter gegen starke Gegner gewonnen hat. Oder: Der Spieler mit der höheren Buchholz-Zahl ist besser platziert als der sieggleiche Spieler mit der niedrigeren.
Bringt auch diese Wertung keine Entscheidung, können die Fein-Buchholz-Punkte herangezogen werden. Sie sind die Addition aller Buchholzpunkte der Gegner. Wäre dies auch noch gleich, kämen als letztes Kriterium die Plus- oder Minuspunkte in Anwendung.
Um dies zu veranschulichen, habe ich das Turnier mit den 32 Teams durchgespielt. Klarer Sieger mit 5 Siegen ist Startnummer 31 Egon, Letzter ohne Sieg Startnummer 17 Qualle. Um das Prinzip der Buchholzpunkte zu erklären, betrachten wir mal Team 12 Lars auf Platz 3 mit Team 8 Hanno auf Platz 4. Beide haben 13 Buchholzpunkte, Lars aber 3 Fein-Buchholz-Punkte mehr und damit die Nase vorn.
In der Tabelle ist der Weg der beiden Teams zu verfolgen. Beide verloren in der 2. Runde ihr Spiel, kämpften sich aber durch Siege in den nächsten 3 Runden ganz nach vorne (bei einem K.-o.-System wären beide ausgeschieden).
Vergleichen wir den Weg der beiden anhand der beiden nachfolgenden Auflistungen. Hinter dem Gegner in Klammern die Buchholz-Punkte/Fein-Bucholz-Punkte (Anzahl Siege/Anzahl Bucholzpunkte). Wichtig: Auch wenn man verliert, bringt der Gegner Buchholz-Punkte, je nach dem wie viele Siege er im Turnier hat.
Auf dem Weg auf Platz 3 siegte 12 Lars gegen Team 11 (3/15), verlor gegen 23 (2/16), dann drei Siege gegen 15 (3/12), 27 (2/14) und 19 (3/17) – ergibt 4 Siege, 13 Buchholz-Punkte und 74 Fein-Bucholz-Punkte.
Auf dem Weg auf Platz 4 siegte 8 Hanno gegen Team 7 (2/12), verlor gegen den späteren Sieger 31 (5/15), dann drei Siege gegen 29 (1/13), 32 (2/18) und 21 (3/13) – ergibt 4 Siege, 13 Buchholz-Punkte und 71 Fein-Bucholz-Punkte.
Und was passiert bei einer ungeraden Teilnehmerzahl?
Auch hierzu ein Schema. In der ersten Runde hat ein Team ein Blanc, was als Sieg mit 13:7 gewertet wird. Ab der zweiten Runde wird das Blanc immer der Gruppe mit den wenigsten Siegen zugelost. Wenn in einer Gruppe mit gleich vielen Siegen/Niederlagen eine ungerade Teamzahl entsteht, muss ein Team in die nächsthöhere Gruppe hochgelost werden. Kein Team darf aber zweimal hochgelost werden und kein Team darf zweimal gegen ein hochgelostes Team spielen.
Das Schweizer System ist sehr rechenintensiv und ohne PC und einem guten Programm – und die gibt es seit Jahren – sollte man die Finger davon lassen. Das Schweizer System wird oft auch in unterschiedlichen Variationen angewandt. Es gibt Turniere, Meisterschaften und Qualifikationswettkämpfe, in denen das Schweizer System solange gespielt wird, bis nur noch ein Team ohne Niederlage ist.
Andere Turniere werden über eine vorher festgelegte Anzahl von Runden gespielt und danach werden die Teams auf Sub-Turniere aufgeteilt. In diesen Sub-Turnieren spielen dann Teams mit gleicher oder ähnlicher Anzahl von Siegen gegeneinander z.B. im K.-o.-System das Turnier zu Ende.
Viele Pétanque-Spieler sehen beim reinen Schweizer System den Vorteil darin, dass alle Teams bis zum Ende des Turniers spielen. Dies kann aber auch ein Nachteil sein, da alle Teams weiterspielen müssen, auch wenn sie keine Chance mehr auf eine gute Platzierung oder Qualifikation haben. Ein vorzeitiger Ausstieg oder verlorene Frustspiele verfälschen vor allem die Buchholz-Wertung. Dieser Zwang zum Weiterspielen kann sogar dazu führen, dass Spiele abgeschenkt werden.
Zum Schluss noch zwei Anekdoten zum Thema.
Als 1994 die allererste Quali in Baden-Württemberg im Schweizer System gespielt wurde, war ich als Turnierleiter bei der Triplette in Rastatt eingeteilt. Es gab damals keinerlei Erfahrung, kein Programm – alles war für uns alle neu. Vor dem fraglichen Wochenende, spielte ich deshalb jeden Abend im Bett einmal das Turnier durch. Am Ende war ich mir sicher, dass ich es kapiert habe. Uns faszinierte damals vor allem, dass dieses System uns erlaubte, genau die Anzahl von Teams herauszufinden, die für die DM qualifiziert sind.
Ich hatte extra Team-Karten angefertigt, in die die Gegner, die Ergebnisse, Hochlosungen oder Blancs einzutragen waren – und ich habe sie tatsächlich in meinem Archiv auch noch gefunden. Dazu baute ich einen speziellen Behälter mit genügend Fächern, in die nach jeder Runde die Teams mit gleicher Siegzahl in die einzelnen „Töpfe” abgelegt werden konnten. Man sah auf einen Blick, wie viele Siege ein Team hatte. Mit Hilfe dieser Karten konnte auch schnell und perfekt gelost werden. Dieses erste Turnier war noch eine Mischung aus K.-o.-System und Schweizer System. Am Samstag wurde die Vorrunde in 4 Gruppen gespielt, jeweils die Besten 8 waren für Sonntag qualifiziert für die DM-Quali BaWüMeisterschaft. Nach den 5 Runden saß ich mit 4 Helfern im Vereinsheim. Jeder hatte 8 Karten und ich rief die Teams der Reihe nach auf. Immer wenn das aufgerufene Team gegen ein Team auf einer Karte eines Helfers gespielt hatte, sagte mir dieser die Siege, die ich in meiner Tabelle Notierte. Nach genau 28 Minuten hatten wir das Ergebnis – ein PC hätte keine 28 Sekunden gebraucht! Aber alle waren zufrieden.
Wen es interessiert, hier sind die PDF von den beiden wichtigen Listen, mit denen an der Einschreibung gearbeitet wurde: Auslosung/Ergebnis und Ergebnismeldung/Platzierung
Die nächste Quali war für die Doublette und hier wurde direkt Schweizer System gespielt. Es waren 116 Teams. Am Ende versammelte ich mich wieder mit den Helfern, diesmal ein paar mehr, an einem ruhigen Ort, um die Buchholzpunkte zu bekommen. Für 32 Teams brauchten wir 28 Minuten, für 116 Teams 1 Stunde und 24 Munuten. Während wir rechneten, stand der damaligen BaWü-Präsident Bruno Raab-Monz draußen am Mikrofon, um die Zeit bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses zu überbrücken. Ich weiß nicht, was er dem Boulevolk alles erzählte um es bei Laune zu halten – aber es war sicher die Längste Rede für eine Siegerehrung.
Die dritte Quali war das Tête in Friedrichshafen. Wir hatten aus der letzten Veranstaltung gelernt und unser damaliger IT-Spezialist Norbert Bleich hatte ein Programm geschrieben. 3 Tage vor dem Turnier musste er unvorhergesehener weise für seinen Arbeitgeber nach London. Also, kam er mit seinem Programm zu mir – Ettenheim liegt ja am nächsten bei Freiburg – erklärte mir alles einen Abend lang und ich war mir sicher, das ist der richtige Weg. Zur Not hatte ich ja seine Handy-Nummer. Und die Not trat auch ein, denn 3 Spieler traten nicht zum Turnier an, obwohl gemeldet. Blancs waren nicht berücksichtigt, das Programm war für die genaue Teilnehmerzahl geschrieben. Erster Anruf nach London und Norbert erklärte mir, was zu tun ist. Nach drei der vorgesehenen 6 Runden spann das Programm völlig. An diesem Tag wurde auch ein Spiel von Deutschland auf der WM in Korea-Japan und Friedrichshafen hatte eine Fernsehgerät aufgestellt. Das lenkte viele von meinen Problemen ab. Trotz 20 Minuten Coaching aus London lief nichts mehr. Ich hatte aber vorsichtshalber auch mein Karten-System mitgenommen. Es gab eine Handvoll Besonnene, die das Problem verstanden – darunter war auch Hille – und wir übertrugen die Ergebnisse auf die Karten und spielten das restliche Turnier zu Ende. Die Unbesonnenen, auch da könnte ich noch Namen nennen, wollten den Verband verklagen, weil die Ergebnisse am Turnierende nicht auf Knopfdruck bekannt gemacht werden konnten, sondern erst später. Das war 2002 und der Start in BaWü mit dem Schweizer System.
5 Jahre später, also 2007, war die FIPJP bereit, bei den WM die Vorrunden im Schweizer System zu spielen. Der Internationale Kongress in Pattaya/Thailand sollte darüber entscheiden. Das Vorstandsmitglied Bernard Aurouze, Kanada, war dafür zuständig und ich erinnere mich noch genau, wie er mich am Abend vor dem Kongress auf der Rückfahrt im Bus bat, am nächsten Tag den Kongressteilnehmern das System zu erklären. Ich hatte wie immer meinen Laptop dabei und machte noch in der Nacht eine Vorlage (das PDF gibt es hier zu sehen)für die Sitzung. Ich konnte die Versammlung überzeugen, dass für diese Aufgabe – Reduzierung auf 24 Teams – das Schweizer System ideal ist. Und es wurde beschlossen und 2008 erstmals in Dakar angewendet, bei der einzigen WM, an der ich nicht teilnehmen konnte.
2009 bei der Frauen-WM in Suphanburi, wieder in Thailand, verfolgte ich die Ergebnisse unseres Teams und all der anderen Nationen. Nach jeder Runde wurde der aktuelle Stand brav ausgedruckt und da ich mich, unterstützt von Klaus-Dieter Wiebusch, beim System gut auskannte, konnten wir nach den Vorrunden ausrechnen, dass Deutschland dank der guten Ergebnisse auf Platz 3 oder 4 liegen müsste und somit gegen das Team auf Platz 13 oder 14 zu spielen hat. Als wir dann das Resultat erhielten, lagen wir auf Platz sieben und hatten gegen Platz 10 zu spielen. Was war geschehen. An Stelle der Buchholzpunkte hat die Turnierleitung nur die Plus- und Minuspunkte herangezogen (s. o. eigentlich das 4. Entscheidungskriterium nach Buchholz, Feinbuchholz, direktem Vergleich). Noch schlimmer hatte es die Schweden erwischt, die auf Platz 17 (16 qualifizierten sich bei den Frauen für die Finalrunde – also Ende der WM und ab in den Nationen Cup) landeten, nach Buchholz aber auf Platz 14. Gemeinsam legten wir noch am Abend Protest ein, aber the show must go on. Es wurde so weitergespielt, wie es die Turnierleitung errechnet hatte.
Er hat Wort gehalten, beide kamen am 24. April 2010 zu mir ins Atelier zum Unterricht. Als Fachlehrer hatte ich damals zusätzlich noch Jürgen Hatzenbühler engagiert, der den PC bediente, weil auf meinen Mac das Programm (immer noch) nicht läuft. Aber wer arbeitet in der Pétanque-Welt schon mit Macintosh.