Wenn Bäume Tränen weinen

Fährt man über die Insel Phuket, sieht man überall diese seltsamen „Wälder”: kerzengerade ausgerichtet stehen die Bäume im Abstand von rund drei bis vier Metern. Fährt man an den Plantagen vorbei, ergibt sich ein reizvolles Spiel der Baumreihen, geradeaus oder diagonal, man schaut zwei, drei hundert Meter durch die Gassen. An  jedem Baumstamm hängt rund 70 cm über dem Boden ein Auffangbehälter oder eine halbe Kokosnuss-Schale. Darüber ist die Rinde schräg eingeritzt. Geht man näher hin, sieht man, dass am am unteren Ende der Rille ein weißer, dicklicher Saft über eine kleine Zinntülle in den Topf rinnt und diesen tropfenweise mit einem begehrten Gut füllt: Naturkautschuk oder -latex. Zur großen Bildergalerie.

7KOU_PLR

Der Baum hat eine große wirtschaftliche Bedeutung, da sein Milchsaft die wichtigste natürliche Quelle dieses nachwachsenden Rohstoffes für die Gummiherstellung ist. Die „Tränen des Kautschuks” bringen Milliarden Baht in den thailändischen Süden. Schon die Altvorderen in Phuket sagten: Armut gibt es nicht wo Kautschuk wächst.

7Kautschuk_Topf_q

Ursprünglich war das Vorkommen auf das tropische Amazonasgebiet beschränkt. Die Indios nannten den Baum „ca-hu-chu“, was so viel wie „weinendes Holz“ bedeutet. Die Portugiesen berichteten als erste bereits im 15. Jahrhundert von Latex und erkannten die positiven Eigenschaften, wie z. B. die Möglichkeit, wasserdichte Kleidung durch Beschichtung mit dem dickflüssigen Saft herzustellen. Im Jahre 1839 erfand Charles Goodyear das Verfahren der Vulkanisation, durch das der plastische Kautschuk in elastisches Gummi umgewandelt werden kann. Dies bot viele neue Anwendungsmöglichkeiten und führte zu einem Kautschukboom in Brasilien, das über Jahrzehnte das Weltmonopol hielt.

7_KautschukSamen

Der englischer Naturforscher und Ökonom Sir Henry Alexander Wickham war ein Abenteurer, Vogeljäger in Nicaragua, Forstbeamter in Honduras, Pflanzer und im brasilianischen Urwald. Seine Reiseberichte bewegten Joseph Hooker, den Direktor des Royal Botanic Gardens in Kew im Südwesten von London zu dem Auftrag, Samen des Kautschukbaumes nach England zu bringen. Nach mehreren misslungenen Versuchen schafte Wickham 1876, als Orchideensamen deklariert, 70.000 Kautschuksamen nach London. In den Gewächshäusern von Kew Gardens wuchsen 2000 Kautschuksetzlinge heran, die nach Malaysia verschifft wurden. Nur acht dieser Kautschukpflanzen erreichten ihr Ziel, gediehen jedoch gut und schon 20 Jahre später deckten die malaysischen Exporte 90 Prozent des Kautschukbedarfs der Welt. Die neuen Anbauflächen stürzten die Kautschukbarone in Brasilien in wirtschaftliche Krisen und beendeten dort den Kautschukboom. Die artfremden Bäume besaßen in Südostasien keine natürlichen Feinde wie Pilze und Insekten und lieferten höhere Erträge als die Gummibäume im Amazonasgebiet.

8_Denkmal

Von Malaysia kam der Kautschuk nach Phuket. Der Abbau von Zinn war der Garant für Wohlstand im 19.Jahrhundert. Heute stehen zahlreiche Kautschukplantagen – neben dem Tourismus – für den Reichtum der Insel. Phraya Ratsada Nupradit,  von 1910 – 1913 Gouverneur von Phuket, brachte 1903 die ersten Setzlinge von Malaysia nach Phuket und wies die Gemeindevorsteher an, die Pflanzen zum Wohle der Bürger anbauen zu lassen. Die Gewinnung von Rohgummi ist inzwischen eine der wichtigsten Einnahmequellen geworden. Durch die steigenden Erdölpreise gewann der Naturkautschuk seit 2003 an Bedeutung. Thailand ist der weltweit größte Produzent an Kautschuk und rund 1,3 Millionen Thailänder verdienen ihren Lebensunterhalt damit. Es werden 3,9 Millionen Tonnen Kautschuk produziert, von denen nur 13 % in Thailand verbleiben, der Rest wird exportiert. Die Anbaufläche ist über 3 Millionen Hektar, 2,2 Millionen davon werden geerntet, der Rest dient zur Aufzucht.  Durch die ständige Ausdehnung der Plantagen befinden sich die Preise allerdings weit unter dem von der Regierung anvisierten Ziel von 120 Baht (3 Euro) je kg. Ein Kilogramm Rohkautschuk wird zur Zeit mit 60 Baht gehandelt. Durch das Roden von Regenwäldern, um immer neue Plantagen anzulegen, haben sich in einigen Gebieten die klimatischen Verhältnisse verändert. Mit einher geht ein Schwund der Artenvielfalt, die großflächigen Monokulturen speichern nicht soviel Wasser und binden weniger Kohlendioxid. Aber wer will das den Menschen hier erklären?

7Kautsch_11Ritzen

Von der Gewinnung des Rohkautschuks bis zum fertigen Latexprodukt ist es ein weiter Weg und vor allem für die Plantagenarbeiter ein harter Job. Um 3 Uhr früh machen sich die Arbeiter auf den Weg, früher mit einer Stallaterne, dann mit Öllampen und heute tragen sie auf der Stirn Leuchten mit Leds. Mit einem speziellen Messer ritzen sie die Stämme spiralförmig von links oben nach rechts unten im Winkel von 30 ° ein. Aus der Wunde rinnen die „weißgoldenen Tränen des Kautschuks”, wie Naturlatex auch bezeichnet wird, langsam nach unten und sammeln sich in einem am Stamm angebrachten Auffangbehälter. Nach Tagesanbruch wird der Inhalt der Behälter in Eimern eingesammelt. Das Rohprodukt kann direkt verkauft werden, üblicher ist es jedoch, daraus Kautschukmatten von etwa 1 kg Gewicht herzustellen. Für eine solche Matte müssen rund 25 Bäume angezapft werden.

7Kautschuk_Produktion

Zunächst wird der Saft filtriert und gereinigt, dann in rechteckige Formen gegossen. In der Form werden 40 Prozent Wasser und Essigsäure zugesetzt. Das Gemisch flockt aus und wird nach etwa 2 Stunden „teigig” und muss dann durchgeknetet werden. Dann werden die fest gewordenen Rohballen aus den Formen genommen und mit einer Maschine zu etwa 2 mm dünnen Matten ausgewalzt.

7Kautsch_07PresseRiffel

Mit der letzten Walze erhalten sie das typische Riffelmuster. Wichtig: je feiner die Matten sind, um so schneller trocknen sie.

7KOU_MAT

Die Latexmatten werden für mind. 6 Stunden in der Sonne getrocknet und dann eingesammelt.

7Kautschuk_MattenHängen

Bei der Trocknung verändert sich die Farbe von weiß zu dem fahlgelben Naturgummi-Farbton. Die gebündelten Matten werden dann an die Latexfabriken verkauft.

Etwa 20 kenne ich durch meine Radtouren und es entstehen immer wieder neue, denn die Touristen sind dankbare Abnehmer. Der Besuch einer Latexfirma gehört zu jedem Pauschal-Arrangement. Keine 500 Meter von unserem Haus entfernt ist schon die erste. Auch sie ein Magnet für Busse und Touristen.

7LATEX_Busse

Den Touristen werden Matratzen angeboten, anti-alergisch und langlebig, orthopädisch empfohlen und komfortabel, ungiftig und 100 % umweltfreundlich und, und, und. Einer, der Verkäuferinnen schult, berichtet z. B. in seinem Forum, dass es überall Probeliegen-Schlafzimmer gibt. Paare auf Hochzeitsreise werden speziell angesprochen. Wenn die Paare nicht wollen, wird ihnen ein schlechtes Gewissen gemacht mit Blick auf ihre Eltern – denn in Asien seine Eltern nicht zu lieben, ist eine Todsünde. Und schon wird die Kreditkarte gezückt. Mir ist nur ein Rätsel, wie auf der Insel rund 100 solcher Läden existieren können. Einige Foren-Teilnehmer behaupten sogar, dass viele dieser Firmen reine Geldwäsche-Anlagen seien.

Genmanipulierte Tabakpflanzen im Glas

 

Naturkautschuk ist vielfältig einsetzbar. Fast 50 % dient der Produktion von Reifen für Fahrzeuge und Flugzeuge sowie Schläuche und sonstige Autoteile. 2 Milliarden Präservative werden jedes Jahr in Thailand produziert – nach Abzug der 95 % für den Export bleiben immer noch genug im eigenen Land! Medizinische Handschuhe werden weltweit gebraucht, Schuhe, Gürtel und Schwämme braucht jeder. Viele medizinische Lehrmittel sind ebenfalls aus Latex und im Bau- und Ingenieurwesen wird Kautschuk vielseitigst eingesetzt. Selbst im Straßenbau ist Kautschuk heutzutage nicht mehr wegzudenken. Eine Beimischung von 5 % verbessert die Qualität der Straßen wesentlich, macht sie haltbarer und verursacht weniger Unterhaltungskosten.

7Kautschuk_Blätter2

Zum Schluss noch ein paar Informationen zu dieser wundervollen Pflanze. Der Hevea brasiliensis ist ein Baum, der Wuchshöhen von etwa 20 bis 40 m und in Plantagen Stammdurchmesser von bis zu 30 cm erreicht. Im weichen Bast des Stammes verlaufen Milchröhren, durch die der Milchsaft fließt. Der Baum wirkt schlank, die Äste stehen mehr oder weniger aufrecht. Die Zahl 3 ist überall zu sehen: die Laubblätter sind dreiteilig und die Frucht trägt 3 Samen. Die eiförmigen Samen sind  hellgrau mit dunklen grauen oder braunen Flecken oder Streifen.

7Kautschuk_Frucht_beide

Nach etwa sechs bis sieben Jahren ist der Baum alt genug für die Gewinnung des Latex. Im Alter von etwa 30 bis 40 Jahren stellt der Baum die Produktion von Latex ein, er wird gefällt und durch neue Pflanzen ersetzt wird.

7BaggerHolzsammler2

Das dabei anfallende Holz (Rubberwood) liegt mit seinem hellen, warmen Farbton im Trend und wird dank seiner hohen Härte und seiner Unempfindlichkeit gegen Feuchtigkeitsschwankungen mehr und mehr für den Möbelbau, für Holzspielzeug und Musikinstrumente eingesetzt.

7Kautschuk_Plantage

Da in den ersten Jahren einer neuen Plantage keine Latexernte zu erwarten ist, wird zwischen den Kautschuk-Baumreihen vor allem Ananas angebaut, manchmal auch Bananen. Übrigens, der Ananas von Phuket soll der Beste sein. Ich kann es nur betätigen! Aber darüber ein andermal mehr.

Zur Bildergalerie.