Für viele in Deutschland ist Thailand ein Land, das sie, vor allem durch negative Berichte, aus den Medien kennen. Dieser Bericht zeigt meine neue Heimat von einer vielleicht unerwarteten Seite. Es ist eine Art Tagebuch mit Fotos einer außergewöhnlichen Operation.
Montag, 18. April 2016
An diesem Vormittag hatte ich einen Routine-Termin beim Zahnarzt. Stattdessen landete ich aber im Bangkok Hospital. Als ich beim Zahnarzt auf dem Stuhl saß, konnte ich meinen Rücken nicht mehr bewegen und Jaev musste mich sofort ins Krankenhaus bringen. Dort diagnostizierte man mir, nach einer CT, eine Zyste im 3. Wirbel im Spinalkanal. Der Arzt wollte gleich einen Operationstermin machen, aber ich hatte schon meinen Urlaub nach Ettenheim gebucht. Also verschoben wir die OP auf 22. Juni und er gab mir viele Nerven-Schmerztabletten mit in den Urlaub.
Freitag, 13. Mai
Ich konnte meine Koffer nicht mehr tragen, aber es gab immer nette Helfer. Beim Zwischenaufenthalt in Dubai wanderte ich unter großen Schmerzen dreienhalb Stunden die Shops auf und ab, auf einen Einkaufswagen gestützt – wie auf einen Rollator. Ich kam an Pfingsten in Heidelberg bei Miriam an und habe drei Tage lang das Haus nicht verlassen, weil es nur regnete und ich nur gefroren habe. Als ich dann in Ettenheim ankam, hatte ich plötzlich keine Schmerzen mehr, brauchte keine Tabletten und konnte Boule spielen, als wäre nichts geschehen. Und das blieb so. Auf dem Rückflug konnte ich meinen 32,5 kg schweren Koffer ohne Probleme wieder selbst tragen.
Mittwoch, 22. Juni
Wo war meine Zyste? Das fragte ich meinen Arzt, aber auch er hatte keine plausible Erklärung parat. War sie in der deutschen Sommerkälte geschrumpft (meine Theorie) oder hatte sie sich verändert (seine Theorie)? Auf jeden Fall war mir klar, dass es nicht sofort eine Operation geben wird, vor der ich, ehrlich gesagt, schon etwas Schiss hatte. Im Rückenmark könnte man ja auch einen Nerv treffen, ich hatte von Leuten gehört, die später im Rollstuhl saßen usw. Alle Infos von Bekannten, die schon operiert wurden und die Suche im Internet – alles war widersprüchlich. Ich beschloss, meinen Rücken genauestens zu beobachten und wenn wieder Schmerzen kommen, schnell zu handeln. Aber das war so ein Vorsatz wie die berühmten guten Vorsätze fürs neue Jahr.
Mitte Oktober spürte ich erstmals, dass im Rücken sich etwas tat.
Donnerstag, 17. November
Aber Mitte November hatte sich ja Besuch aus Ettenheim angesagt, die extra den 70. Geburtstag mit mir feiern wollten. Und wir haben schmerzfrei gefeiert!
Sonntag, 11. Dezember
Auf den nächsten Besuch nur eine Woche später freute ich mich ganz besonders, Miriam mit Larissa, Amelie, Julika und Andreas. Die Enkelinnen wohnten bei uns, Mama und Papa im Hotel ums Eck. Es war eine wunderschöne Zeit, aber immer öfter erinnerte mich mein Rücken an mein Versprechen. Die drei Nixen genossen den Pool in unserer Anlage und waren traurig, dass der Opa nicht mitschwimmen konnte. Viel zu schnell vergingen die drei Wochen, was nicht verging waren die Rückenschmerzen.
Donnerstag, 5. Januar 2017
Vier Tage nach dem Rückflug von Myriam & Co landeten Daniel und ein Freund in Phuket, für mich schon wieder ein „guter” Grund, nicht ins Krankenhaus zu gehen.
Freitag, 20. Januar
Drei Tage nach Daniels Abflug erwartete ich nochmals einen lieben Gast: Alex, der sich zum 50. Geburtstag selbst eine 80-tägige Reise um die Welt schenkte, machte 4 Tage Station bei uns in Phuket. Natürlich gingen wir auch zusammen Boule spielen, auch wenn ich beim letzten Supermêlée am Sonntag kaum noch stehen konnte. Am Montag mussten wir auf das Spielen in Saphan Hin verzichten – ich musste liegen.
Dienstag, 24. Januar
Wir brachten Alex frühmorgens zum Flughafen und auf dem Rückweg hatte ich mir vorgenommen, noch ein paar Fotos von Tempeln im Norden der Insel (so weit komme ich nie mit dem Fahrrad) zu machen. Nach der zweiten Station war endgültig das Limit der Schmerzen erreicht und Jaev musste mich ins Hospital fahren. Eigentlich wollte ich ja nur einen Termin machen. Aber der Arzt war anderer Meinung und ordnete sofort eine CT an. Dann ging alles recht schnell: er erklärte mir, dass er am Abend noch einen Termin frei hätte und unverzüglich wurde mit den ganzen Voruntersuchungen und Vorbereitungen für eine OP begonnen. Gegen 15 Uhr kam dann ein Anruf, dass ich doch noch mein Abendessen einnehmen kann, weil meine Lungen am nächsten Vormittag nochmals getestet werden müssen.
Mittwoch, 25. Januar
Um 9 Uhr wurde ich abgeholt, machte die Tests und nach einer Stunde war klar, dass die Funktion der Lunge soweit gut war, dass die Narkose gut gemacht werden konnte. Am Nachmittag kam der Anästhesist um mich auf alles vorzubereiten. Kaum war er weg, informierte sich mein Orthopäde, dass er in Bangkok für die OP noch ein spezielles Mikroteil angefordert hat, das um Mitternacht ankommen wird und dann noch 6 Stunden vorbereitet werden muss. Neuer Termin für die OP: Donnerstag 14 Uhr. Also, nach dem Frühstück keine Speisen und Getränke mehr! Schade, denn die Mahlzeiten im Krankenhaus waren wie in einem Hotel. Und für alle Fälle, oder alle Gäste, gab es da eine Speisekarte vom „sodexo” Room Service von 6 bis 22 Uhr. sodexo ist übrigens ein französisches Unternehmen für Catering, Gemeinschaftsverpflegung und Facilitymanagement.
Bis um 14 Uhr am Donnerstag fühlte ich mich wirklich eher wie in einem sehr guten Hotel als in einem Krankenhaus. Das Zimmer war ca. 9 x 4,5 m groß, mit separater Dusche und Bad, einer durch Vorhang abgetrennten Essecke, kleiner Miniküche, Flachbild-TV im Großformat mit 55 Sendern in allen möglichen Sprachen, neben meiner Luxusliege, an der ich dauernd neue Liegepositionen ausprobieren konnte stand in der Fensterecke ein Ledersessel mit Füßstütze und daneben eine Schlafcouch für Jaev. In Thailand lässt man einen Kranken nicht allein, ein Familienmitglied ist immer mit dabei, am Tag und in der Nacht.
Dass es WLAN gab, ist in Thailand eine Selbstverständlichkeit (so wie beim Friseur, im Restaurant, auf dem Amt, in der Stadt – kostenlos!). So konnte ich surfen, meine Mails bearbeiten und im fernen Deutschland alle auf dem laufenden halten. Jeden Tag bekam ich die neueste Zeitung – The Nation – in englisch zwar, aber besser als gar nichts. Über die News aus Deutschland, die fast noch unangenehmer waren als meine anstehende OP, informierte mich gründlich im Halbstundentakt die Deutscher Welle im TV. Und am Donnerstag erhielt ich besuch von zwei Thailand-Chinesen, die den Patienten aus Anlass des chinesischen Neujahrsfestes frische Orangen und Glückskekse brachten. Und natürlich wurde ein Foto zusammen mit mir gemacht – typisch für hier, mit breitem Lächeln und Zeige- und Mittelfinger zum V erhoben.
Dass ich im Krankenhaus war, merkte ich nur daran, dass spätestens alle 3 Stunden – auch nachts – eine der netten Krankenschwestern erschien zum Puls und Temperatur messen, mich mit Pillen versorgte, Schmerzmittel injizierte, eine Maske aufsetzte oder mich an Oxygen anschloss.
Donnerstag, 26. Januar
Ab 11 Uhr gab es dann das volle Programm. Zunächst wurde ich an die Infusion gehängt – steter Tropfen höhlt den Stein. Dann musste ich meinen lindgrünen Bett-Kimono gegen ein gleichfarbiges OP-Hemd tauschen.
Um 13:40 wurde ich in einem himmelblauen First-Class-Rollstuhl mit Chauffeur abgeholt. Quasi beim Verlassen des Zimmers checkte mich der Lungenarzt nochmals durch und dann ging es 6 Stockwerke abwärts in den Bereich, den nur besondere Gäste betreten dürfen.
Als wir im Lift nach unten fuhren war es kurz nach 14 Uhr. Jeden Donnerstag ist das eigentlich die Zeit, zu der ich im Bouleclub in Rawai die Einschreibung mache. 14:30 geht’s dann los, dachte ich noch – aber heute ohne Gegner.
Ich durfte auf ein Bett umsteigen. Im Vorraum zum OP standen noch drei andere Liegen, ebenfalls miz Farangs, also Ausländern. Einer wünschte mir „Good luck”, ich ihm auch aber er meinte nur trocken: „It’s done”. Ich betrachtete mir den OP. Da standen Geräte von Zeiss, Siemens, Nihon Kohden und anderen Herstellern, die ich nicht kannte. Drei fast metergroße Leuchten mit Hunderten von LEDs schwebten in der Mitte über dem OP-Tisch. Mein Arzt kam, ich bekam eine Maske auf – mit Ozon? Eine Schwester stand neben mir und streichelte mit ihrem Daumen zart über meinen 4-Tage-Bart.
Als ich wieder die Augen öffnete, lag ich im Aufwachraum. Irgend jemand freute sich darüber und brachte mich in mein Zimmer zurück. Ich war zwar noch etwas benommen, konnte aber an der Uhr ablesen, dass ich genau 4 Stunden außerhalb von meinem Zimmer verbracht habe. Ich war erleichtert, dass ich das alles mit bekam, erleichtert, dass die Zyste draußen sein musste, denn ich hatte im Bein keine Schmerzen mehr. Zwei Schläuche verbanden mich mit der Außenwelt: eine Infusion an die linke Hand und ein Katheder unter die Bettdecke. Und auf dem Rolltisch stand bereits mein Abendessen.
Später erfuhr ich dann noch, dass alles ohne Probleme verlaufen ist, dass die Zyste zur Untersuchung in der Pathologie sei, es aber keine negativen Anzeichen auszumachen waren. Ich döste beruhigt weiter. Aber irgendwann kam sogar Hunger auf und Jaev richtete mir alles mundgerecht her. Die Nacht habe ich fast durchgeschlafen, nur geweckt von den 3-Stunden-Besuchen der Nurse, dem Schutzengel in Lichtblau und dem Satz „No feever”.
Freitag, 27. Januar
Nach dem Frühstück machte mein Arzt mit Assistenz Visite und erzählte mir alles über die OP und über das Ergebnis der Pathologie. Nichts bösartiges, bohnenförmig rund 15 mal 10 mm groß. Bösartig war nur, dass mir das Ding so viele Schmerzen bereitet hatte.
Der nächste Besucher war der Physiotherapeut mit Assistentin, die mir den Katheder entfernte. Dann verpasste er mir ein rosa Stützkorsett, half mir aus dem Bett und machte mit mir einen Spaziergang – einmal den Flur vor bis zur Schwesternstation und wieder zurück – gut 40 Meter. Für den Nachmittag um 14 Uhr machte er mir einen Termin auf seiner Station für erste Reha-Maßnahmen.
Ich wurde pünktlich abgeholt und durfte erst mal Radfahren durch eine virtuelle Landschaft, die sah aus wie ein Radweg durch Wiesen Richtung Kaiserstuhl. Stufe 3 war eingestellt, ich strampelte und nach 15 Minuten konnte ich das Ergebnis ablesen: 5,1 km, 99 % Effizienz, linkes Bein 57 % und rechtes 43 % Leistung. Der Therapeut war sehr zufrieden. Es folgten 20 Minuten Elektro-Magnet-Resonanz-Stimulation, war angenehm warm und vibrierend.
Gegen 16 Uhr erschien nochmals der Arzt, der mich operierte. Da er am nächsten Tag nach Surat Thani musste, wechselte er mir den Verband einen halben Tag früher wie geplant. Mit dem neuen Pflaster auf dem Rücken kann ich jetzt auch duschen. Der letzte Besucherin brachte mir die speisekarte vom Samstag, denn ab sofort bekam ich Normalkost statt Schonkost und konnte aus je 6 Menüs auswählen: zweimal europäisch, zweimal thailändisch, zweimal muslimisch.
Samstag, 28. Januar
Nach dem Frühstück wurde ich um 8 Uhr wieder abgeholt zur Physiotherapie. Es begann mit Radfahren, diesmal Stufe 4 und nach 15 Minuten war das Ergebnis besser als tags zuvor: 5,9 km, 99 % Effizienz, linkes Bein 51 % und rechtes 49 % Leistung. Mein rechtes Schmerzbein hat also schon kräftig aufgeholt.
Dann kamen ein paar Übungen am „Barren”, wie ich den Steg taufte. Ab aufs Bett und der Therapeut machte mit mir Übungen zur Stärkung des Rückens. Er gab mir am Ende eine Anweisung mit für Übungen zu Hause. Zum Schluss wieder 20 Minuten EMRS.
Den Rest des Vormittags verbrachte ich damit, eine Dankeschönkarte zu gestalten für die Krankenschwestern der Station 7B. Für diesen First-Class-Service musste ich mich einfach bedanken – auf meine Art mit einer kleinen Grafik. Mein erstes Thai-Mittagessen wurde serviert, der Cashier kassierte die zweite Rate der Krankenhauskosten, ein Apotheker brachte mir die Medizin für zu Hause samt Einnahme-Vorschriften.
Dann zog ich mir meine Privat-Klamotten an und verlies mit Jaev Zimmer 748. Ich war erleichtert und dankbar und überreichte den Schwestern mein kleines Kunstwerk als Dankeschön, das wirklich von Herzen kam. Sie freuten sich Riesig, weil sie sich erkannten und waren gerne bereit zu einem letzten gemeinsamen Foto. Alle Fotos von Jaev hier.
Ich wartete am Eingang, Jaev holte das Auto vom Parkplatz und wir fuhren nach Hause. Es war ein gutes Gefühl, alles geschafft zu haben.
Als ich vor einem Jahr in Deutschland erzählte, dass ich diese Operation in Thailand machen werde, war das für die meisten unverständlich. Aber ich wusste schon damals, dass es eine gute Entscheidung ist. Meine erste Untersuchung am 18. April hat mich total überzeugt: vom behandelnden Arzt, von der Medizintechnik, vom Service. Ich wurde in keinem Punkt enttäuscht – lediglich von meiner Krankenversicherung. Aber die hat ja nichts mit dem Bangkok Phuket Hospital zu tun. Sie weigert sich zahlen, weil ich, wie in der Krankenakte nachzulesen war, wegen Spinalkanalstenose 2011 in Lahr schon mal behandelt wurde. Die gesamten Kosten belaufen sich auf rund 7000 Euro und wir müssen jetzt versuchen, zumindest einen Teil davon von der Versicherung erstattet zu bekommen.